Schwungvoll gespeichert 25.01.11 – Denis Dilba Schlagwörter: Pufferleistung, Energiespeicher, Schwungrad Eine US-Firma entwickelt Schwungräder als Pufferspeicher für Kraftwerke – billiger und effizienter als Batterien.
Wer Matthew Lazarewicz fragt, was die Matrix ist, bekommt prompt eine Antwort. Er weiß sogar ganz genau, wie sie funktioniert. Tatsächlich klingen seine Ausführungen dann auch fast so, als spreche der Cheftechniker der US-Firma Beacon Power über den gleichnamigen Science-Fiction-Klassiker der Wachowski-Brüder. Vom richtigen Schwebeverhalten im luftleeren Raum ist da die Rede, von aberwitzig hohen Rotationsgeschwindigkeiten, Reaktionszeiten im Millisekundenbereich – und ständig von bedrohter Sicherheit. Das alles bezieht Lazarewicz allerdings auf das Thema Stromnetze. Mit seiner sogenannten Smart Energy Matrix, einer Armada aus 200 Hightech-Schwungrädern, die momentan in Stephentown im US-Bundesstaat New York aufgebaut werden, will er das Stromnetz vor ungewollten kurzfristigen Spannungs- und Frequenzschwankungen schützen.
Insgesamt 20 Megawatt Pufferleistung wird Beacon dafür ab Anfang 2011 in dem ersten Schwungradspeicher-Kraftwerk der Welt zur Verfügung stehen. Laut der amerikanischen Firma reicht das aus, um rund zehn Prozent des New Yorker Stromnetzes zu regulieren.
Dass dies nötig ist, hat das US-Netz mit seinen spektakulären Stromausfällen in den vergangenen Jahren immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Vom US-Energieministerium wird das 52-Millionen-Euro-Vorhaben des Unternehmens mit Sitz in Massachusetts daher auch mit einer Kreditbürgschaft in Höhe von umgerechnet rund 31 Millionen Euro unterstützt. Setzt sich der Prototyp durch, sollen vergleichbare Kraft-werke in den gesamten USA gebaut werden.
Auch auf dieser Seite des Atlantiks regt sich Interesse an der wiederentdeckten, eigentlich uralten Technologie, die bereits zur Römerzeit Töpferscheiben angetrieben und die James Watts Dampfmaschine in Bewegung versetzt hat.
"In Europa ist es in Sachen Schwungradspeicher bis auf wenige kleine Forschungsprojekte still gewesen, aber das ändert sich gerade", sagt Wolf Rüdiger Canders, Leiter des Instituts für Elektrische Maschinen, Antriebe und Bahnen an der Technischen Universität Braunschweig. Der Grund sei simpel, so der Experte: Der zunehmende Anteil erneuerbarer Energien, allen voran der Windkraft, sorge auch hierzulande langsam aber sicher für stärkere Schwankungen im Stromnetz.
Gefragt sind daher Technologien, die überschüssig produzierten Strom speichern und ihn bei Bedarf schnell wieder ins Netz abgeben können. Direkt funktioniert das aber nur mithilfe von Kondensatoren oder Spulen. In der Praxis muss der Strom zunächst in eine andere Energieform umgewandelt werden. Während der chemische Weg über Batterien oder der mechanische mittels Druckluftspeicher vergleichsweise lange Entladezeiten haben und daher nur bei längerfristig vorhersagbaren Stromschwankungen einsetzbar sind, können Schwungradspeicher innerhalb von Sekundenbruchteilen auf Abweichungen im Netz reagieren. Bei kurzzeitiger Stromflut werden die Schwungräder von Elektromotoren beschleunigt und speichern so die überschüssige elektrische Energie in Form von Rotationsenergie wie ein Kreisel. Herrscht dagegen Ebbe im Netz, schalten die Schwungräder in den Generatorbetrieb: Wie ein riesiger Dynamo speisen sie so wieder Strom in die Leitung zurück. "Die Schwungräder sind allerdings oft auch schon nach zehn Sekunden komplett entladen", sagt Canders. Dieses Zeitfenster kann aber enorm wichtig sein. Oft seien es genau diese zehn Sekunden, die man braucht, um ein Notstromaggregat zu starten, so der Forscher.
Banken, Versicherungen, wichtige Produktionslinien oder Rechenzentrum nutzen die Schwungräder daher bereits oft als Garantie für eine unterbrechungsfreie Stromversorgung. Anders als etwa Batterien sind sie praktisch wartungsfrei, mehrere Hunderttausend Lade- und Entladezyklen hintereinander. Da rund 90 Prozent der Störungen im Stromnetz kürzer als drei Sekunden dauern, sei das Schwungrad trotz schneller Ent- ladungszeiten als sogenannte "Sekundenreserve" zum Aus- gleichen von Stromschwankungen ideal, so Canders. Um das möglichst effizient hinzubekommen, müssen die Schwungradtechniker allerdings tief in die Trickkiste greifen.
Beim derzeit neuesten Beacon-Power-Modell Gen 4 verrichtet das Schwungrad seinen Dienst daher horizontal rotierend im Inneren eines fast vollständig luftleeren Aluminium-Zylinders. "Im Vakuum vermeiden wir die Reibung mit der Luft", erklärt Lazarewicz. Bei bis zu 16000 Umdrehungen pro Minute sei das unbedingt nötig, um die Effizienzverluste klein zu halten. Das etwa anderthalb Meter lange zylinderförmige Schwungrad mit einem Durchmesser von 91 Zentimetern, das Beacon Power Rotor nennt, besteht aus einer Achse und einer Nabe aus Metall sowie einem Radkranz aus kohlefaserverstärktem Kunststoff.
20 Jahre Garantie gibt der Hersteller auf seine Speicher. "Erst durch den Einsatz von solchen modernen Verbundwerkstoffen können die heutzutage benötigten hohen Energiedichten erreicht werden", sagt Frank Werfel, Geschäftsführer der auf Schwungradspeicher spezialisierten Adelwitzer Technologiezentrum GmbH (ATZ) im sächsischen Arzberg. Entscheidend sei nämlich das Verhältnis von Zugfestigkeit zur Dichte des eingesetzten Materials, so der Forscher. Metall sei zwar auch haltbar und werde durchaus für herkömmliche Schwungräder eingesetzt, wegen seiner vergleichsweise hohen Dichte könne man aber nicht so hohe Rotationsgeschwindigkeiten erreichen, sagt Werfel: "Die Fliehkräfte werden wegen der höheren Masse sonst zu groß, das Metall bricht." Dazu kommt, dass die Verbundwerkstoffe ein Sicherheitsplus bieten: Sollte mal etwas schiefgehen, verhalten sich diese Materialien beim Bruch berechenbarer als ihre Pendants aus Metall.
Das Herzstück eines jeden Schwungradspeichers sei aber die Lagerung, sagt Canders: "Die aktuelle Generation der Schwungradspeicher setzt zumeist auf aktive Magnetlager für die Schwungrad-Achse." Bei dieser Lösung sind im Lagergehäuse und auf der Achse Elektromagneten angebracht. Abstandssensoren auf Achse und Lagerinnenseite regeln den Stromdurchfluss der Magneten so, dass die Achse stets in Schwebe gehalten wird. "Für den Fall, dass die Steuerelektronik ausfällt, müssen solche Magnetlager aber noch mit einem zusätzlichen Kugel- oder Gleitlager ausgestattet werden", sagt Schwungrad-Experte Canders. Die Reibungsverluste bei dieser Art der Lagerung seien äußert gering.
Es geht theoretisch aber noch besser. Werfel und Canders forschen daher an hochtemperatur-supraleitenden (HTS) Magnetlagern. Sie könnten die Reibungsverluste auf ein absolutes Minimum drücken, sagen beide Experten. Eine Regelung entfalle bei solchen Lagern komplett, sagt Werfel. Dass dieses Prinzip funktioniert, haben beide zwar schon bewiesen, wirtschaftlich ist die Lösung aber noch nicht: "Die aufwendige thermische Isolierung, die zusätzlich benötigten Kältemaschi-nen – und dann noch ein Hochvakuum. Das alles ist nicht nur kompliziert, sondern kostet zudem auch noch erhebliche Summen", sagt Canders. Der Effekt würde nur zum Tragen kommen, wenn die Entladezeiten der Schwungräder auf Zeiträume im Stundenbereich wachsen, so der Wissenschaftler. "Ob es jemals so weit kommt, steht aber noch in den Sternen", sagt Canders. Im Vergleich zum aktiven Magnetlager sei die HTS-
Lösung momentan noch zu teuer. Lazarewicz sieht das auch so. Seit einigen Wochen, sagt der Schwungrad-Unternehmer, arbeite man am Nachfolger des aktuellen Modells. Die Lösung solle ohne Achse auskommen, sagt der Beacon-Power-Mann, "es wird eine Art fliegender Ring mit außen liegender Magnetlagerung". Um viermal so viel Energie speichern zu können wie sein Vorgänger, wird es sich mit bis zu 25000 Umdre- hungen pro Minute deutlich schneller drehen. Dabei solle es aber nur ein Achtel so viel kosten, sagt Lazarewicz: "Anfragen gibt es jetzt schon."
Dieser Text ist der Zeitschriften-Ausgabe 01/2011 von Technology Review entnommen. Das Heft kann hier online portokostenfrei bestellt werden. |